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Jede Schule, in der freie Bürger unterrichtet werden, muss damit beginnen, nicht Vertrauen, sondern Misstrauen zu lehren. Es geht darum, Fragen zu stellen und keine vorgegebenen Antworten zu akzeptieren.
Cammar Pilru, ixianischer Exilbotschafter
Er hatte noch nie Risiken gescheut, aber jetzt fand C'tair einen regelrechten Gefallen daran. Es war an der Zeit, in die Offensive zu gehen.
Während der Arbeit redete er flüsternd auf Fremde ein, die an seiner Seite schufteten. Er suchte sich jene aus, die am meisten unter der Unterdrückung zu leiden schienen. Und die Tapfersten unter ihnen nahmen den Aufruf zur Rebellion an.
Selbst die Suboiden, die geistig gar nicht in der Lage waren, den politischen Hintergrund zu begreifen, verstanden nun, wie sie von den Tleilaxu ausgenutzt worden waren. Vor Jahren hatten die Invasoren sie verführt und ihnen ein besseres Leben in Freiheit versprochen – aber letztlich hatte sich ihre Lage immer mehr verschlechtert.
Nun hatte die geknechtete Bevölkerung mehr als nur eine vage Hoffnung. Rhombur war wirklich zurückgekehrt! Der lange Albtraum wäre bald zu Ende.
* * *
Prinz Rhombur wartete in einer kleinen Nische, wo er mit seinen Gefährten verabredet war, und hörte ein Geräusch im Korridor. Er aktivierte seine künstlichen Gliedmaßen und machte sich auf einen Kampf gefasst. Letos Truppen sollten in wenigen Stunden eintreffen, und C'tair hatte sich bereits an die Oberfläche begeben. Er hatte sich durch enge Schächte und Nottunnel gezwängt, damit er die letzten eingeschmuggelten Sprengsätze anbringen konnte, mit denen strategisch wichtige Punkte der Sardaukar-Verteidigung lahmgelegt werden sollten. Nach ein paar gezielten Explosionen musste die Raumhafenschlucht den eintreffenden Atreides-Truppen schutzlos ausgeliefert sein.
Doch all ihre Arbeit wäre umsonst, wenn Rhombur zu früh in Gefangenschaft geriet. Die Geräusche wurden immer lauter.
Dann sprang Gurney Halleck in die Nische – mit einer Leiche in den Armen. Der Tote hatte kaum noch menschenähnliche Züge, das Gesicht war glatt und wächsern, die Augen leblos, und der Kopf baumelte wie der einer Marionette am gebrochenen Genick.
»Ein Gestaltwandler, der sich als Suboide getarnt hatte. Ich dachte, dass er sich etwas zu sehr für mich interessierte. Da bin ich das Risiko eingegangen, weil er sich für einen eurer minderbemittelten Arbeiter zu ungewöhnlich verhielt.«
Er ließ den toten Gestaltwandler zu Boden gleiten. »Also habe ich ihm das Genick gebrochen. ›Der verborgene Feind ist die größte Gefahr.‹« Er blickte Rhombur in die Augen und fügte hinzu: »Ich glaube, wir haben jetzt ein ernsthaftes Problem. Man weiß von uns.«
* * *
Es überraschte Graf Hasimir Fenring, dass der Forschungsmeister ihn in Ruhe ließ. Trotzdem fühlte er sich als Gefangener.
Fenring ging nicht davon aus, dass er auch weiterhin in Sicherheit war, und blieb ständig auf der Hut. Er fügte sich in das Unvermeidliche und hielt nach einer Gelegenheit zur Flucht Ausschau. Er hatte zahlreiche beunruhigende Verhaltensweisen und Nebenwirkungen an Personen beobachtet, die zu viel synthetische Melange konsumierten – einschließlich der Sardaukar. Das war gar nicht gut ...
Der kleinwüchsige Tleilaxu-Wissenschaftler, der sich immer unberechenbarer benahm, verbrachte einen ganzen Vormittag damit, dem imperialen Gewürzminister anhand von Zahlen zu demonstrieren, auf welche Quantität sich die Amal-Produktion seiner Axolotl-Tanks steigern ließ, damit das Programm noch eine Zeit lang weiterlaufen konnte. »Der Imperator wird das Amal zunächst mit Bedacht verteilen müssen, als Belohnung für jene, die am loyalsten zu ihm stehen. Nur wenige sollten in diesen Genuss kommen. Nur wenige sind dessen würdig.«
»Ja, hmmm.« Fenring hatte noch viele Fragen zur synthetischen Melange, hielt es aber für zu gefährlich, sie zu stellen. Er saß Ajidica am Schreibtisch gegenüber und studierte Dokumente und Miniholos, die der Forschungsmeister ihm reichte.
Ajidica wirkte nervös und voller unbeherrschter Energie. Sein Blick war glasig und trotzig und seine Miene verhärmt. In Verbindung mit seiner Überheblichkeit machte er den Eindruck, dass er sich für einen Halbgott hielt.
Fenrings sämtliche Instinkte warnten ihn nachdrücklich vor diesem Mann, und er hätte ihn am liebsten einfach getötet, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Selbst wenn man ihn gut bewachte, hatte ein tödlicher Kämpfer wie Graf Fenring stets tausend Möglichkeiten, einen Mord zu begehen – aber er würde niemals unbeschadet entkommen können. Er sah die fanatische Loyalität seiner Wachen, die hypnotische Macht, die der Forschungsmeister auf sein Personal ausübte ... und sogar auf die Sardaukar, was ihn am meisten besorgte.
Gleichzeitig kam es zu anderen Veränderungen. In den letzten Tagen war die Bevölkerung von Ix immer unruhiger und unzufriedener geworden. Die Zahl der Sabotageakte hatte sich verzehnfacht. Graffitis erblühten auf den Wänden wie Arrakeen-Blumen im Morgentau. Niemand wusste, was diese Aufsässigkeit nach so langer Zeit ausgelöst hatte.
Ajidicas Antwort bestand darin, den Druck zu erhöhen, die wenigen Freiheiten und Vergünstigungen, die dem Volk noch geblieben waren, weiter einzuschränken. Fenring hatte sich niemals mit der drakonischen Härte anfreunden können, die die Tleilaxu gegenüber den Ixianern an den Tag legten. Eine solche Politik hielt er für zu kurzsichtig. Tag für Tag wuchs die Unruhe. Der Druck wurde nur stärker, wenn der Deckel fester auf den Kochtopf gepresst wurde.
Die Tür zum Büro des Forschungsmeisters flog auf, und Kommandeur Cando Garon marschierte herein. Die Uniform und das Haar des jungen Sardaukar-Offiziers waren zerrauft, und seine Handschuhe waren schmutzig, als würde er keinen Wert mehr darauf legen, militärisch korrekt aufzutreten. Er zerrte ein kleines, schwaches Geschöpf mit sich, einen Suboiden-Arbeiter.
Garons Augen waren dunkel und die Pupillen erweitert, und sie blickten nervös hin und her. Er hatte die Zähne zusammengebissen und die Lippen in einer Mischung aus Widerwillen und Triumph gefletscht. Er hatte größere Ähnlichkeit mit einem brutalen Schläger als mit dem disziplinierten Vorgesetzten der imperialen Truppen. Fenring verspürte ein deutliches Unbehagen.
»Was ist das?«, wollte Ajidica wissen.
»Ich glaube, das ist ein Suboide«, sagte Fenring trocken.
Der Tleilaxu-Forscher verzog angewidert das Gesicht. »Schaffen Sie dieses ... abscheuliche Wesen hinaus!«
»Zuerst müssen Sie ihm zuhören.« Garon stieß den blassen Arbeiter zu Boden.
Der Suboide erhob sich auf die Knie und blickte sich verwirrt um, da er weder verstand, wo er war, noch, in welchen Schwierigkeiten er steckte.
»Ich habe dir gesagt, was du tun sollst.« Garon versetzte ihm einen Fußtritt gegen die Hüfte. »Sag es.«
Der Suboide wand sich am Boden und keuchte vor Schmerz. Der Sardaukar packte sein Ohr und zog daran, bis es blutete. »Sag es!«
»Der Prinz ist zurückgekehrt«, sprudelte es aus dem Suboiden hervor, dann wiederholte er die Worte ein paarmal wie ein Mantra. »Der Prinz ist zurückgekehrt. Der Prinz ist zurückgekehrt.«
Fenring spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.
»Wovon redet er?«, fragte Ajidica.
»Prinz Rhombur Vernius.« Garon versetzte dem Suboiden einen weiteren Stoß und befahl ihm, mehr zu sagen. Doch der Mann mit dem einfach gestrickten Geist konnte nur winselnd den einen Satz wiederholen.
»Er spricht vom letzten Überlebenden der abtrünnigen Familie Vernius, hmmmm?«, bemerkte Fenring. »Schließlich ist er noch am Leben.«
»Ich weiß, wer Rhombur Vernius ist! Aber es ist viele Jahre her. Warum sollte sich plötzlich irgendjemand für ihn interessieren?«
Garon schmetterte den Kopf des Suboiden auf den harten Boden, was diesen zu einem schmerzhaften Aufschrei veranlasste.
»Hören Sie auf damit!«, sagte Fenring. »Wir müssen ihn weiter befragen?«
»Mehr weiß er nicht.« Garon ballte eine Hand zur Faust und schlug dem hilflosen Mann in den Rücken. Fenring hörte, wie Rippen und Wirbel brachen. Der Kommandeur prügelte immer wieder wie ein Berserker auf ihn ein.
Der Suboide spuckte Blut, zuckte noch ein paarmal und starb.
Erregt und schwitzend richtete sich der Sardaukar-Offizier auf. Seine Augen glühten, als würde er nach einem neuen Opfer suchen, das er töten konnte. Seine Uniform war mit Blut bespritzt, doch es schien ihn überhaupt nicht zu stören.
»Es war nur ein Suboide«, sagte Ajidica schniefend. »Sie haben Recht, Garon. Ihm hätten wir ohnehin keine weiteren Informationen entlocken können.« Der Forschungsmeister schob eine Hand unter seine Gewänder und holte eine Tablette aus verdichtetem synthetischem Gewürz hervor. »Da!« Er warf sie Garon zu, der die Tablette mit blitzschnellem Reflex in der Luft auffing und sich in den Mund steckte – wie ein Hund, der eine Belohnung erhielt.
Garons wilder Blick konzentrierte sich auf Fenring. Dann ging der Offizier zur Tür. Die blutige Leiche ließ er einfach zurück. »Ich werde nach weiteren suchen, die ich befragen kann.«
Bevor er das Zimmer verlassen konnte, ertönten Alarmsirenen. Fenring sprang auf, während sich der Forschungsmeister umblickte – jedoch eher verärgert als besorgt. Solche Sirenen hatte er in all den zweiundzwanzig Jahren, die er sich auf Ix aufhielt, noch nie gehört.
Kommandeur Garon wusste genau, was dieses Signal zu bedeuten hatte. »Wir werden angegriffen, von außen!«
* * *
Die Flotte der Atreides stieß durch die Atmosphäre und durchbrach die Verteidigung der Sardaukar. Kriegsschiffe stürzten sich in die Raumhafenschlucht, wo die zahlreichen Höhleneingänge durch schwere Tore gesichert waren.
C'tairs Sprengsätze explodierten und schreckten die Sardaukar auf. Ihre Hauptsensoren und viele Anlagen fielen aus. Die Kontrollen der Boden-Luft-Waffen brannten durch. Die gelangweilten Tleilaxu-Wachen konnten nicht auf den überraschenden Angriff reagieren, der scheinbar aus heiterem Himmel kam.
Die Atreides-Schiffe warfen Bomben ab und sprengten Felsen und Metallpanzerungen. Die Sardaukar sammelten sich zur Verteidigung, aber nach so vielen Jahren der Ruhe waren ihre Waffensysteme darauf eingestellt, interne Aufstände zu unterbinden und mögliche Eindringlinge abzuschrecken.
Die von Duncan Idaho geführte Flotte traf exakt zum vereinbarten Zeitpunkt ein. Transporter landeten und setzten Soldaten aus, die ihre Schwerter gezogen hatten, da im individuellen Schildkampf keine Lasguns eingesetzt werden konnten. Sie stießen wilde Kriegsrufe im Namen ihres Herzog und des Prinzen Rhombur aus.
Die Schlacht um Ix hatte begonnen.